2008-02-17

Geh Denken? - "Nicht in unserem Namen"

Mit „Krawalle und Ausschreitungen am 13. Februar verhindern“ ist der Antrag des konservativen DSU Stadtrates Peter Berauer, der ohne Zweifel als Prototyp des Dresdner Spießbürgers zu bezeichnen ist, überschrieben.
In der Begründung des Antrages, der in veränderter Form als Gesetzesvorlage vom sächsischen Kabinett mittlerweile beschlossen und dem Landtag überstellt wurde, schreibt Berauer folgendes:

„In zunehmende Maße wird der 13. Februar als zentraler Gedenktag der Landeshauptstadt Dresden an die Opfer der Bombenangriffe und die Zerstörung der Stadt im Februar 1945 von rechtsradikalen Parteien und Organisationen für medienwirksame Aufmärsche missbraucht.“

„Im Zuge dieser Aufmärsche werden stets auch zahlreiche Linksradikale „magisch“ angezogen , um unter dem Vorwand des „Antifaschismus“ Straßenschlachten zu provozieren.“

„Für Bürger, die in der Innenstadt wohnen, und für die zahlreichen Besucher der vielen Gedenkveranstaltungen und –gottesdienste entstehen dadurch unzumutbare Belästigungen. Ein stilles Gedenken wird in einer solchen Atmosphäre, die teilweise von bürgerkriegsähnlichen Zuständen geprägt ist, fast unmöglich. Insbesondere ältere Mitbürger trauen sich an diesem Tag häufig nicht mehr in die Innenstadt.“
Trotz Zweifel an der Wirksamkeit dieser Einschränkungen des Versammlungsrechtes eint die Dresdner Öffentlichkeit die Sorge um das „Gedenken“.

Das Wort vom „Missbrauch“ ist in aller Munde. Nach dem Prinzip „Haltet den Dieb“ verkündet die Dresdner „Zivilgesellschaft“ seit mehreren Jahren, den 13.Februar gegen „Vereinnahmung und Missbrauch durch Nazis“ zu verteidigen.



Obwohl die Nazis bereits in den 90er Jahren am 13. Februar aktiv waren und seit 1999 einen „Trauermarsch“, mit wachsender Beteiligung veranstalten störte sich lange Zeit kaum jemand daran. Vielmehr wurde geschwiegen, geleugnet und ignoriert, denn die Nazis erzählten nichts anderes als die bürgerliche Trauergemeinde vor der Ruine der Frauenkirche.

Gleichzeitig waren die geschichtspolitische Debatten um die deutsche Vergangenheit noch lange nicht in das „Tal der Ahnungslosen“ vorgedrungen. Erst zu Beginn des neuen Jahrhunderts gelang es Historikern wie Helmut Schnatz öffentlich Mythen und Legenden um den 13. Februar zu widerlegen, auch wenn dies regelmäßig zu Wutausbrüchen der „Erlebnisgeneration“ und ihrer Nachgeborenen führte. Doch auch die Hinweise auf die Schuld der Deutschen an den nationalsozialistischen Verbrechen und die heute so gern zitierte „Verantwortung“ wurden damals kaum zu Kenntnis genommen. In Dresden gab es nur deutsche „Opfer“.


Erst die zunehmende Befürchtung um den verdienten Imageschaden, wenn am 60. Jahrestag 2005 der größte Naziaufmarsch der Nachkriegsgeschichte „gerade in Dresden“ stattfinden wird, bewirkte ein vorsichtiges Umdenken.
All zu sehr bildeten die alten Mythen und Legenden, die liebend gern von den Nazis weiter kolportiert werden, die Schnittmenge zwischen militantem und bürgerlichen Revisionismus und Revanchismus.

Der damals formulierte und von namhaften Persönlichkeiten unterstütze „Rahmen für das Erinnern“ knüpfte an den bundesweiten geschichtspolitischen Kurs an und etablierte eine zeitgemäßere und brauchbarere Interpretation für den Umgang mit der Geschichte des 13. Februars.

Der Text positionierte sich explizit gegen „Revanchismus, Volksverhetzung und Gewaltpropaganda“ und den „Missbrauch des Gedenkens“, verlangte aber auch die Anknüpfung an die „jahrzehntelange Erinnerungs- und Gedenktradition“. Damit war das Dresden-Gedenken auf der Höhe der Zeit angekommen.

Dennoch wurde damit der „Mythos Dresden“ und der frühere Bezug auf den Nationalsozialismus, von dem man entweder nichts wissen wollte, oder als dessen „Opfer“ man sich bereits generierte auf eine neue Grundlage gestellt. Das Dresden Gedenken ist seitdem ein Akt der Auseinandersetzung mit dem „Rechtsextremismus“ und der „Vorgeschichte des 13. Februars“.
Die Dresdner Öffentlichkeit legitimiert das Gedenken an deutsche „Opfer“ damit, aus den „Erfahrungen der Geschichte“ entsprechende „Verantwortung und Verpflichtung“ abzuleiten und sich deshalb „gegen Krieg, Gewalt, Extremismus und für Demokratie“ einzusetzen.


Der, nicht erst 2008, aber diesmal noch intensiver bemühte Terminus des „Missbrauchs“ (des 13. Februars) ist zur Legitimation des Gedenkens geworden.
Wenn es die Nazis nicht gäbe, müsste diese Stadt sie erfinden, um einen Grund zum Kerzenhalten zu haben.
Allerdings meint man es in dieser Stadt dennoch nicht ganz so ernst. So formulierte der Dresdner Oberbürgermeister, nachdem die jüdische Gemeinde ihre Teilnahme an der morgendlichen Kranzniederlegung mit Verweis auf die Nazis abgesagt hatte sein Bedauern und:
Ich kann mir leider nicht aussuchen, mit wem ich gedenke.
Unter dem etwas holprigen Motto „Wahrhaftig erinnern – versöhnt leben“ riefen die sächsischen Kirchenfürsten, der Oberbürgermeister und andere in diesem Jahr zur Gedenkveranstaltung an der Frauenkirche auf. Nicht nur das man sich mit der religiös verbrämten Wortklauberei unangreifbar machen wollte, vielmehr wurde ganz im Sinne der neuen deutschen Moralität auf den „Zusammenhang der Bombardierung Dresden und der Geschichte des nationalsozialistischen Deutschland“ hingewiesen.

Der ehemalige Superintendent Christoph Ziemer erklärte dazu in seiner Rede folgendes:

„Gleichschaltung“ nannten die Nazis mit entlarvender Offenheit diese grundhafte Zerstörung von Demokratie. Der technische Begriff assoziiert, dass man Menschen und menschliche Institutionen wie Maschinen ein- und gleichschalten kann, was unter Menschen nur funktionieren kann, wenn Andere, die anders sind als wir, die stören, ausgeschaltet werden.

Die „Gleichschaltung“ endete in den Verbrechen, die in dem organisierten Mord an den Juden und dem von Deutschland ausgehenden Krieg gipfelten, an dessen Ende Dresden zerstört wird.

Unglaublich, wie diese Verbrechen in der Vereinnahmung des 13. Februars durch die Rechts-extremen verdrängt werden. Und wie nötig, dem zu widerstehen. Wie könnten wir diese Geschichte anders als mit Scham erinnern und mit dem Erschrecken darüber, wie sich Menschen „gleichschalten“ ließen.

„Wahrhaftig erinnern“ heißt beharrlich und genau die Zusammenhänge und Verwicklungen aufzuklären gegen das Vergessen. In diesem Zusammenhang kann ich nur mit Bewunderung darauf hinweisen, in welcher Vielfalt, mit welchem Engagement, auch mit welcher kritischen wissenschaftlichen Nüchternheit und mit welcher menschlichen Wärme sich in Dresden eine Erinnerungskultur entwickelt."
Zunehmend wichtig ist auch anderen Teilen der Dresdner „Zivilgesellschaft“, die seit drei Jahren unter dem Motto „Geh Denken“ zur Demonstration für das bessere Dresden Gedenken aufruft, die Bezugnahme auf die „Vorgeschichte“ die jahrelang kein Thema war.



Dort ist dann die Rede von der „Zerschlagung der Gewerkschaften, dem Reichstagsbrand, den Bücherverbrennungen und der Verfolgung und Ermordung der jüdischen BürgerInnen Deutschlands.
Die etwa 30 Organisationen die den Aufruf des Demokratiebündnisses unterschrieben haben lassen sich auch nicht lumpen und sehen bereits die erneute Apokalypse (nicht nur für Dresden) am Horizont heranziehen:
„Heute, 75 Jahre später, marschieren wieder die Anhänger dieser tödlichen Ideologie, drängen in die Parlamente, ergreifen die Worte und die Plätze, und machen kein Geheimnis daraus, dass sie wieder genau so handeln würden wie damals.
Die Abschaffung der Demokratie und die Demontage der Bürger- und Menschenrechte ist ihr erklärtes Ziel. Das lassen wir uns nicht gefallen, nicht in diesem Jahr und nie wieder.“
Heute sieht man sich in der Traditionslinie der Verfolgten des Nationalsozialismus und des „demokratischen Deutschland“ und gefällt sich in der offensiven (Selbst-)Entnazifizierung, denn von deutschen TäterInnen ist weder bei der Kirche noch bei der Zivilgesellschaft die Rede.
Die zentrale Voraussetzung für das Gedenken, ob nun vor der Kirche oder beim „Geh Denken“ ist die mittlerweile der Verweis auf den „historischen Kontext“ und die Anerkenntnis der deutschen Verbrechen.

Die Bezugspunkte für das Gedenken werden dabei ebenfalls kurioser:
So wurde wieder dazu aufgerufen sich mit weißen Plastikrosen aus Sebnitz zu schmücken.
War der Anlass hierfür vor einigen Jahren noch eine hanebüchene Bombenkriegslegende, so stellt man sich in diesem Jahr in die Tradition der bürgerlichen Widerstandgruppe.
Die Kirchenfürsten sahen sich dagegen in der Tradition der DDR Friedensbewegung, die Anfang der 1980 das Gedenken in Dresden undankbarer Weise wiederbelebte.

Konkrete Schuld wird jedoch vollkommen historisiert und gegebenenfalls irgendwelchen Nazi-Schergen zugeschoben und damit das deutsche Mordkollektiv letztlich freigesprochen.
Die konkrete Verantwortung aber zu benennen wäre aber nötig und würde zeigen, dass angesichts des tatsächlichen Mitmachens der deutschen Bevölkerung und konkret der DresdnerInnen im Nationalsozialismus eine Fortsetzung des „Gedenkens“ nur absurd wäre.

Die lang geforderte Einbettung „Dresdens“ in den historischen Kontext ist umgemünzt in den „Gebrauch“ der Opfer der deutschen Verbrechen zur Legitimation des Gedenkens an die TäterInnen von einst.

Die Dresdner Öffentlichkeit benutzt nicht nur völlig opportunistisch die Opfer des Nationalsozialismus, um sich mit ihnen in eine Reihe zu stellen, wie es der Stelenkreis auf dem Heidefriedhof versinnbildlicht.
Dem angeblichen „Missbrauch durch Neonazis“ wird der „Gebrauch“ des Gedenkens, der „Gebrauch“ der Geschichte entgegen gesetzt. Man leitet darüber ab das, dass Gedenken an die „Opfer“ der Bombardierung einer deutschen Stadt im Nationalsozialismus damit legitim sei.
Dabei wird die konkrete Rolle „Dresdens“ und seiner Bevölkerung im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg nach wie vor ausgeblendet.
Vielmehr werden historische Ereignisse vor dem 13. Februar herausgegriffen, um einen Kontext zu herzustellen der keine TäterInnen mehr kennt. Ohne TäterInnen ist aber auch die Frage nach Schuld und der konkreten Verantwortung überflüssig.

Und das ist es wohl was sich die Dresdner Öffentlichkeit am meisten wünscht.

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