2007-11-04

"Freiräume" in Dresden

Dresden sucht Räume... Genauer gesagt kämpf(t)en schon gänzlich unterschiedliche Gruppierungen um so genannte städtische Freiräume bzw. Freiflächen und gegen deren Bedrohung.
Die Bedrohung kommt, wie das so ist, von aussen und wird als gänzlich grässlich, böse, und verschwörerisch dargestellt. Personifiziert wird die Bedrohung in „westdeutschen Investoren“ oder „arroganter Architektur“. Natürlich sind hier bestimmte Adaptionen klassischer antisemitischer Stereotype den Protestlern nicht fremd.




Wird das Ganze noch mit der Dresden spezifischen Variante des Lokalpatriotismus und des Heimatschutzes verknüpft, der sich vor allem im Bezug auf die Vergangenheit, die Zerstörung und den Wiederaufbau aggressiv auflädt ist es nötig genau hinzusehen.

Seit etwa zwei Jahren lieferten sich Besetzer eine brachliegenden Freifläche in der Dresdner Neustadt eine Auseinandersetzung mit der Stadtverwaltung und dem „westdeutschen Investor“ um einen Platz auf dem ein Wohngebäude mit Tiefgarage, Supermarkt und Kita gebaut werden soll.
Die VertreterInnen dieser durchaus als „alternativ“ und „politisch links“ wahrgenommenen Variante der reaktionären Schollenverteidigung brachte nach der Räumung der Fläche Ende Oktober folgenden Müll zu Papier:

Die Oase ist geräumt. Jahrelanger Kampf, intelligent und kreativ von einer aufgeklärten Neustädter Bürgerschaft vorgetragen, haben die "Götter" nicht für den Erhalt der Freifläche gewogen gestimmt. Bei näherem Hinschauen müssen alle am "Kampf" Beteiligten erkennen, dass dem Moloch "Kapitalverwertung" kein Kraut gewachsen war. Die Freifläche Kamenzer Straße 24-26 wird als Außenposten eines Immobilienimperiums zum Zwecke der Kapitalrentierlichkeit zubetoniert. Das hat in Dresden und auch anderorts gute Tradition. Der unlängst stattgefundene Totalverkauf kommunalen Wohneigentums an ein Hegdefond fügt sich da nahtlos in den "modernen" gewissen- und gedankenlosen Vermarktungswahn ein.
Während in dieser Auseinandersetzung die BesetzerInnen nunmehr glücklicherweise die Bühne verlassen haben, hat eine ganz ähnliche Auseinandersetzung um eine andere Freifläche an Fahrt aufgenommen.

Nach dem die Dresdner Frauenkirche 2005 rekonstruiert wurde begann der „Wiederaufbau“ des „historischen Neumarktes“ rund um das Bauwerk. Hier, wo das bürgerliche Dresden sein „Herz“ sieht, entsteht eine Art historisches, jedoch deutsches, Disneyland welches sich vor allem daran orientieren soll den Zustand vor der Bombardierung 1945 wieder herzustellen.

Der geplante Bau eines neuen Gewandhauses an diesem Platz, welches eben nicht den „historischen“ Vorgaben folgt, sondern sich an moderner Architektur orientiert erzürnt die Gemüter des Dresdner Bürgertums wie sonst nur der geplante Bau der „Waldschlösschenbrücke“ die wiederum angeblich das „Weltkulturerbe“ bedroht.
Siehe "...wie bei den Taliban"


Die Dresdner FDP hat nun eine Unterschriftensammlung, mit dem Ziel eines Bürgerbegehrens gestartet, welches einen Neubau eines modernen gegenüber der Frauenkirche verhindern soll, nachdem die SPD Fraktion mit einem Antrag hierzu im Stadtrat gescheitert war.

Das absurde Provinzschauspiel entsteht dadurch das zwar tatsächlich bis Ende des 18. Jahrhunderts an dieser Stelle ein Gebäude stand, dies jedoch nicht als das historische Vorbild zu gelten habe, da man den Zustand wie vor 1945 wiederherstellen möchte.

Während also die SPD fragen wollte, ob die BürgerInnen für eine „zeitgenössische Bebauung“ des Areal wären, möchte FDP Stadtrat Jan Mücke jedoch fragen ob das „das Grundstück des ehemaligen „alten Gewandhauses“ gegenüber der Frauenkirche von einem Hochbau frei zu halten?“ sei.
So weit, so langweilig wäre da nicht die pikante und vor reaktionärer Dresdner Schwülstigkeit kaum zu überbietende Begründung gegen die Bebauung:

Das Herz unserer Stadt blutet. Das Herz unserer Stadt wurde verwüstet und bis auf die Grundmauern zerstört und steht heute wieder vor einem zarten Aufwuchs. Rund um unsere mächtige Frauenkirche entsteht wieder ein Platz, ein Ort, den wir alle in unseren Herzen tragen und den wir weiter hegen und pflegen. Wir alle, alt wie jung, spüren diese Unvergleichkeit und makellose Schönheit, die das Herz unserer Stadt für uns alle wieder öffnet.

Erheben Sie mit uns Ihre Stimme für den wahren Dresdner Neumarkt. Lassen Sie nicht zu, dass der Gewandhausplatz mit einem modernen Bauwerk verunstaltet wird und die noch frischen Wunden im Herzen unserer Stadt neu aufgerissen werden. Kämpfen Sie mit uns gegen die Arroganz dieser modernen Architektur, kämpfen Sie mit uns für unser historisches Zentrum, damit unser Neumarkt als das Herz unserer Stadt wieder auch in unser aller Herzen einzieht. Schließen Sie sich uns an und unterschreiben Sie mit für die Freiheit dieses Platzes, frei von jeglicher Bebauung, frei für uns als die Bürgerinnen und Bürger Dresdens.