Ein kritischer Blick auf die Anti-Globalisierungsbewegung:
In der Analyse der Kapitalverhältnisse gib es keine Pluralität an Gefühlsregungen, die Dinge so der oder so zu verstehen. Kapitalismus ist absoluter Zwang, und die Verdinglichung der Subjekte nicht der böse Wille der viel zitierten “Bonzen”.
Die Losung den Kapitalismus abschaffen zu wollen, bedarf einer fundierten Kritik, die ihre Trennschärfe nur durch ihren Blick auf die Gesamtheit der Verhältnisse entfaltet. Zwischen lokalen Handwerksbetrieben, der Deutschen Bank und DaimlerChrysler bestehen nur auf den ersten Blick wesentliche Unterschiede. Alle folgen dem gleichen Prinzip, der kapitalistischen Wertschöpfung, sie unterscheiden sich lediglich in ihrem wirtschaftlichen Erfolg und den dadurch resultierenden Einflussmöglichkeiten. Eine auf die big players beschränkte Kritik des Kapitalismus geht an der Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse vorbei und verschleiert diese vielmehr noch, indem sie einen konkreten Sündenbock präsentiert, der auch als Gegenstand für die Gewalt der antikapitalistischen Revolte taugt.
Das Wesen des Kapitalismus als abstraktes und totales gesellschaftliches Verhältnis wird hinter der falschen Konkretisierung verborgen und damit auch einer grundsätzlichen, radikalen Kritik entzogen. Mit der Personalisierung kapitalistischer Vergesellschaftung, wie sie all zu gerne von den Leuten der Antiglobalisiserung betrieben wird, wird zudem die Struktur des modernen Antisemitismus geschaffen: Wert, Geld und Handel als abstrakte, heimatlose und ausbeuterische Formen werden bestimmten Personen zugeschrieben: Bankiers, Bonzen, Kapitalisten. Der Schritt zur Konkretisierung des Antisemitismus, zum Juden, ist dann nur ein kleiner, den die meisten Globalisierungskritiker bisher nicht vollziehen. Aber die Assoziation liegt aufgrund der seit dem Mittelalter tradierten Vorurteile, der Jude sei ein heimatloser Krämer, Wucherer und Ausbeuter, so offen auf der Hand, dass sie vielfach nicht ausgesprochen werden muss. Die Nationalsozialisten taten es und begründeten mit dem Kampf gegen das „raffende“ jüdische Kapital die Ermordung von sechs Millionen Menschen in einem industriell organisierten Verfahren. Vom Standpunkt einer falschen Kapitalismuskritik, die bei der Kritik der abstrakten Seite kapitalistischer Wertschöpfung stehen bleibt und diese in Gestalt von Banken, Kapitalisten, Großkonzernen – in dieser Denkart also die Juden – angreift, ist dies nur folgerichtig.
Die antikapitalistische Revolte gegen die abgespaltene abstrakte Seite kapitalistischer Wertschöpfung ist damit strukturell antisemitisch. Das Pogrom ist bereits angelegt. So deprimierend es auch sein mag, antikapitalistische Kritik muss stets auf das Ganze zielen und die Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse im Blick behalten. In diesen sind Kapitalisten nichts anderes als eine andere Form der Arbeiter, nicht besser, nicht schlechter. Natürlich soll die Existenz von Klassen und die ihnen immanenten Herrschaftsverhältnisse damit nicht negiert werden, nur tragen sie alle gemeinsam zum Fortbestehen des Systems bei. Jede und jeder ist, unabhängig vom Einkommen und den wirtschaftlichen Verhältnissen in denen er oder sie lebt, lediglich ein Rädchen im Getriebe. Es gibt kein Entkommen: nicht durch den Einkauf bei einer lokalen Kooperative statt bei H&M, nicht durch autonome Suppenküchen anstelle von McDonald’s. Mit diesem Themenfeld Anti-G8 Mobilisierung und Antisemitismus wird sich unserer Gast-Referent Stephan Grigat vom CafeCritique Wien, schwerpunktmäßig beschäftigen.
Es ist unser Anliegen, mit dieser Veranstaltung und dem in diesem Kontext vorzustellenden Reader „Why your revolution is no liberation?!“ dem vielfach propagierten Praxisdiktat bei einem „Großevent „zu widerstehen und an den Beginn einer viel zitierten gesellschaftlichen Veränderung das Primat des geistigen Begreifen zusetzten. Diese Veranstaltung ist der Auftakt einer bundesweiten Vortrags- und Diskursreihe, deren gemeinsamer roter Faden in der kritischen Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Anti-G8-Bewegung liegt.
Dienstag den 24.04.2007 / 19.00 Uhr / Universität Hamburg / Von-Melle-Park 6 / Philturm / Hörsaal E